Corona

Aber wir sind auch davon überzeugt, dass in jeder Krise eine Chance steckt. Die Chance zu bewussterem Leben, zu neuen Formen der Aufmerksamkeit und der Gemeinschaft. Weil das Kreuz und die Auferstehung im Mittelpunkt unseres Glaubens steht, sind wir davon überzeugt, dass Gott auch aus Bösen Gutes entstehen lassen kann und will. Deswegen wollen wir nicht aufhören, auf sein Wort zu hören und füreinander zu beten. Und deshalb wollen wir auch weiter in Kontakt bleiben und sind wir unter dem Titel „Glauben in Zeiten der Corona Krise“ online gegangen. Jeweils sonntags um 10 Uhr, also zur regulären Gottesdienstzeit, wird eine Botschaft von Pastor René Lammer in den jeweiligen Kirchen in Northeim und Angerstein aufgezeichnet. Spätestens um 13 Uhr ist sie dann online auf Youtube abzurufen. Pastor Lammer steht auch zum Telefongespräch unter 0 55 51/26 00 zur Verfügung. Rufen Sie an. Er nimmt sich Zeit für Sie.

 

Das aktuelle Video aus Angerstein: Trösten wie eine Mutter

Dar vorletzte Video aus St. Blasien: Jesus nachfolgen

Liebe Leserin, lieber Leser!

Beispielhaft

Liebe Leserin, lieber Leser,

Nachdem die alte Blockkonfrontation in Ost und West offenbar zur Geschichte gehört, kommt es nun zu neuen Polarisierungen. Bei Fragen der Zuwanderung, der Geschlechtergerechtigkeit, der Umweltzerstörung treten Gegensätze immer stärker hervor. So sehr, dass es manchmal kaum möglich ist, im Dialog nach der Wahrheit zu suchen, sondern die jeweils andere Position als geradezu indiskutabel abgelehnt wird. Eine durchaus problematische Entwicklung, die sich, wenn man den Blick nach Amerika wirft, auch bei uns eher noch verschärfen wird.

Da ist es gut festzustellen: Im Bereich der Kirchen zumindest ist eine gegenteilige Entwicklung zu erkennen. Wir Christen besinnen uns mehr und mehr auf Gemeinsamkeiten und wachsen wieder zusammen. So sehr, wie es vor hundert Jahren noch nicht einmal denkbar war. Es hat sich eine neue Offenheit unter uns entwickelt. Wir reden miteinander und wir lernen voneinander. Besonders hier in Südniedersachsen dürfen wir es auf eine ganz großartige Weise erfahren: Die lutherischen, katholischen, freikirchlichen und reformierten Christen arbeiten auf fruchtbare Weise zusammen. Sei es in Nörten beim Valentinsgottesdienst oder in Northeim zu Pfingsten und beim Klostermarkt oder zur Pogromnacht: Da ist Ökumene mit allen Sinnen zu erfahren und es ist immer wieder neu und bereichernd.

Ich bin mir sicher: Die ökumenische Bewegung ist unumkehrbar. So wie hier wird sie sich Schritt für Schritt an allen anderen Orten weiterentwickeln und vertiefen. Gott sei Dank!

Ich behaupte: Es hat geradezu ein ökumenisches Zeitalter begonnen. Das bedeutet: Wir lernen, uns gegenseitig als Geschwister im Glauben zu akzeptieren. Es bedeutet auch, wir sind bereit, unsere eigene Tradition zu prüfen und begangene Fehler einzusehen. Es bedeutet, Missverständnisse geduldig aus dem Weg zu räumen. Und es bedeutet vor allem: Immer wieder gemeinsam auf die Botschaft der Bibel zu hören, miteinander zu beten und gemeinsam im Dienst an der Welt zu arbeiten.

Aber Ökumene bedeutet nun für mich keineswegs, dass wir versuchen sollten, möglichst alle Unterschiede zwischen den Kirchen einzuebnen. Nach 15 Jahren in Lateinamerika und mehr als fünf Jahren in Griechenland fände ich es, um ein Beispiel zu nennen, nahezu absurd, die griechisch-orthodoxe Liturgie zu kopieren und in unsere Gottesdienste einzubauen.

Auf der anderen Seite würde ich allerdings auch nicht einmal ernsthaft wünschen, dass die Orthodoxen oder Katholiken sich nun zu reformierter Nüchternheit entwickeln. Ich hielte das für eine Verarmung der so überaus reichen christlichen Tradition. Das würde doch die bunte Vielfalt der Gnade Gottes in einen gräulichen Einheitsbrei verwandeln, der völlig ungenießbar wäre.

Im Gegenteil geht es vielmehr darum, die je eigene Tradition zum Blühen zu bringen und das jeweilige Profil zu schärfen. Das wird wohl auch immer wieder nur in Abgrenzung möglich sein. Aber diese Abgrenzung ist keineswegs bedauerlich, sondern durchaus hilfreich, solange denn klar ist: Wir leben aus der einen Gnade Gottes, sie bildet das Zentrum, aus dem wir unsere verschiedenen Gaben entwickeln.

Konkret heißt das für mich: Uns Protestanten fällt im ökumenischen Kaleidoskop wohl im besonderen Maße die Aufgabe zu, das Evangelium so zu sagen, dass es auch kirchlich ungeübten Menschen des 21. Jahrhunderts verständlich wird. Wir werden dabei weiter und noch mehr als bisher Offenheit für neue Formen und Ausdrucksweisen zu kultivieren haben. Unsere Aufgabe in der ökumenischen Arbeitsteilung liegt deshalb vielleicht weniger in der Bewahrung der Tradition, als vielmehr in der fortwährenden Neuentdeckung der alten und doch immer wieder aktuellen Botschaft des Neuen und Alten Testamentes.

Die Kirchen können so der Welt ein Beispiel geben, wie man in versöhnter Verschiedenheit und ohne Leugnung der Gegensätze miteinander leben und arbeiten kann. Sie können die verfeindeten Lager immer wieder miteinander ins Gespräch bringen. Damit um die Wahrheit gerungen werden kann. Damit Ausgrenzungen vermieden werden und der Gewalt der Nährboden entzogen wird. Damit wir es schließlich doch lernen, geschwisterlich miteinander zu leben, weil wir doch einen Gott und Vater haben.

Herzlich

René Lammer, Pastor

 

 

Geh aus mein Herz...

 Wenn es einmal einen Grand Prix de la Eurovision mit den Hits der letzten 500 Jahren geben sollte, dann wird das Lied: „Geh aus mein Herz und suche Freud“ zweifellos unter den Top Ten zu finden sein. Bei diesem Choral stimmt einfach alles: der Text, die Melodie, der beschwingte Rhythmus. Das ganze Lied ist von einer lichten, sommerlichen Heiterkeit durchzogen, der man sich nur schwer entziehen kann. Man spürt den Wind geradezu durch die Blättern rauschen, hört die Vögel unbeschwert singen und die Bienen tun ganz selbstverständlich alles, um uns Menschen das Leben zu versüßen. Alles in der Natur scheint harmonisch aufeinander abgestimmt zu sein und man wird in das Staunen des Liederdichters Paul Gerhard geradezu mit hineingenommen bis man ihm schließlich beipflichtet: Ich selber kann und mag nicht ruhn, des großen Gottes großes Tun erweckt mir alle Sinne.

 Natürlich wissen wir, dass es in der Natur und in der Welt keineswegs immer so harmonisch zugeht. Paul Gerhard wusste das natürlich auch. Er schreibt das Lied, da ist der 30-jährige Krieg, der ganze Landstriche verwüstet und entvölkert hatte, gerade erst vorüber. Wir dürfen also davon ausgehen, dass der Liederdichter eine sehr viel genauere Vorstellung von dem Elend der Welt hatte, als die meisten von uns.

 Und doch kann er all die bitteren Erfahrungen, die er auch persönlich machen musste, einfach einmal beiseite schieben und seiner ungetrübten Dankbarkeit und Lebensfreude Ausdruck verleihen. Und wenn Paul Gerhard das konnte, dann wollen wir uns heute, nach mehr als 70 Jahren Frieden in Mitteleuropa, ganz unbefangen von seinem Lebensgefühl anstecken lassen. Wollen uns auch ganz einfach an der schönen Gärten Zier erfreuen und in ihr einen Vorschein auf die paradiesischen Zustände sehen, die uns blühen sollen.

 Es ist ja bemerkenswert, dass schon die Bibel, den Garten zum Gleichnis nimmt, wenn der Mensch mit Gott und der Natur in Einklang lebt. Der Garten, nicht der Urwald, nicht die Steppe und auch nicht die Wüste, ist der Ort der harmonischen Gemeinschaft zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen. Der Garten eben, der ein Stück von Menschen gestalteter Natur ist. Kein Kraut und Rüben, kein Ödland und kein Dschungel, sondern der Ort, an dem der Mensch eine kreative Ordnung schafft und so zum Mitschöpfer Gottes wird. Seine vornehme Aufgabe ist es, diesen Garten zu bebauen und zu bewahren, damit er ein paradiesischer Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Menschen wird. Und alle Geschöpfe auf ihre je eigene Art, den Schöpfer mit jeder Faser ihres Seins loben. Und dazu werden auch wir hoffentlich in diesem Sommer viele Gelegenheiten haben.

 

 

 

Mittelalterfest September 2017
Bald ist es soweit: Am 9. September 2017 werden wir in Angerstein das erste Mittelalterfest feiern. Zwar hat man ganz bestimmt auch im Mittelalter in Angerstein schon Feste gefeiert. Aber eben keine Mittelalterfeste, schlicht, weil man damals nicht wusste, dass man im Mittelalter lebte. Denn erst später, als man auf die Epoche mitten zwischen Antike und Neuzeit zurückblickte, sprach man vom Mittelalter.
Dabei ist es gar nicht so einfach, dieses Zeitalter genau zu begrenzen. Waren es die Eroberung Konstantinopels durch das osmanische Reich, die Erfindung der Buchdruckkunst, die Renaissance, die Entdeckung eines neuen Kontinentes im Westen, die das Mittelalter beendeten? Oder läutete die Wittenberger Reformation das Ende eines Zeitalters ein?
Uns reicht es zu wissen, dass vor etwa 500 Jahren tatsächlich eine neue Epoche in der Menschheitsgeschichte begann. Man spürte das, weil ehrwürdige Traditionen und unbedingte Autoritäten mit einem Mal in Frage gestellt wurden. Leibeigene begehrten auf und forderten ihre Rechte ein. Der Einzelne trat in den Mittelpunkt und wollte mitreden und mitentscheiden. So beklagten sich Bischöfe, dass sie nun schon mit einfachen Bauern über Fragen der Heiligen Schrift disputieren müssten. Unerhört! Schließlich forderte das Volk gar, die Pastoren selbst wählen zu dürfen! Denn man könnte sehr wohl die rechte von der falschen Lehre unterscheiden!
Damit dies möglich wurde, hatten die Reformatoren allen Christen die Bibel in ihrer Sprache in die Hand gegeben und sie zum Maßstab aller Reform gemacht. Um sie lesen und verstehen zu können, bedurfte es seinerseits nun der Bildung breiter Schichten der Bevölkerung. Mit der steigenden Bildung gewannen Begriffe wie Vernunft und Gewissen immer stärker an Bedeutung. Die Kirche dagegen verlor in Folge dessen ihr Monopol, die Wirklichkeit zu deuten. Sie wurde zurückgedrängt, Staat und Gesellschaft begannen sich zu verselbständigen.
Die umwälzenden Entwicklungen fanden in den Thesen Martin Luthers einen treffenden Ausdruck: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan, so lehrte es der Wittenberger Reformator. Damit brachte er neben der Freiheit die grundsätzliche Gleichheit der Menschen ins Bewusstsein, die nach seiner Lehre in der Priesterschaft aller Gläubigen verwurzelt ist.
Sicher blieb Luther selbst in vielen Dingen noch dem Mittelalter verhaftet. Er war ein treuer Untertan seines Fürsten und die für sich selbst in Anspruch genommene Glaubensfreiheit fand bei den Wiedertäufern und Juden schnell ihre Grenzen. Aber dennoch klingen bei den Reformatoren mit den Begriffen von der Freiheit, Gleichheit und Vernunft Themen an, die die Neuzeit maßgeblich bestimmen sollten. Sie wurden von der Aufklärung aufgenommen und verstärkt. Sie prägen unsere Kultur, unser Verständnis von Gleichberechtigung und Demokratie, von Menschenrechten und Humanismus bis heute. In der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen merken wir jetzt, dass diese Werte keineswegs selbstverständlich sind. Sondern ein hohes Gut, das es zu verteidigen gilt. Gegenüber intoleranten Strömungen, die von außen und innen kommen.
Einiges spricht dafür, dass man unsere Zeit im Rückblick auch einmal als den Beginn einer neuen Epoche bewerten wird. Ob alles begrüßenswert ist, was da über uns kommt, sei dahingestellt. Als Christen sind wir gut beraten, wenn wir, ähnlich wie die Reformatoren, dem Neuen gegenüber aufgeschlossen sind und doch nicht einfach dem Zeitgeist folgen. Sondern wie sie, immer wieder in lebendigen Austausch mit unserem Ursprung treten. Und uns von Jesus Christus die Maßstäbe setzen lassen. Dazu gehört nicht zuletzt: In Gemeinschaft fröhliche Feste zu feiern, zu denen jeder eingeladen ist und jeder etwas beitragen kann.

Herzlich
René Lammer, Pastor

Liebe Leserin, lieber Leser!

Geh aus mein Herz...

 Wenn es einmal einen Grand Prix de la Eurovision mit den Hits der letzten 500 Jahren geben sollte, dann wird das Lied: „Geh aus mein Herz und suche Freud“ zweifellos unter den Top Ten zu finden sein. Bei diesem Choral stimmt einfach alles: der Text, die Melodie, der beschwingte Rhythmus. Das ganze Lied ist von einer lichten, sommerlichen Heiterkeit durchzogen, der man sich nur schwer entziehen kann. Man spürt den Wind geradezu durch die Blättern rauschen, hört die Vögel unbeschwert singen und die Bienen tun ganz selbstverständlich alles, um uns Menschen das Leben zu versüßen. Alles in der Natur scheint harmonisch aufeinander abgestimmt zu sein und man wird in das Staunen des Liederdichters Paul Gerhard geradezu mit hineingenommen bis man ihm schließlich beipflichtet: Ich selber kann und mag nicht ruhn, des großen Gottes großes Tun erweckt mir alle Sinne.

 Natürlich wissen wir, dass es in der Natur und in der Welt keineswegs immer so harmonisch zugeht. Paul Gerhard wusste das natürlich auch. Er schreibt das Lied, da ist der 30-jährige Krieg, der ganze Landstriche verwüstet und entvölkert hatte, gerade erst vorüber. Wir dürfen also davon ausgehen, dass der Liederdichter eine sehr viel genauere Vorstellung von dem Elend der Welt hatte, als die meisten von uns.

 Und doch kann er all die bitteren Erfahrungen, die er auch persönlich machen musste, einfach einmal beiseite schieben und seiner ungetrübten Dankbarkeit und Lebensfreude Ausdruck verleihen. Und wenn Paul Gerhard das konnte, dann wollen wir uns heute, nach mehr als 70 Jahren Frieden in Mitteleuropa, ganz unbefangen von seinem Lebensgefühl anstecken lassen. Wollen uns auch ganz einfach an der schönen Gärten Zier erfreuen und in ihr einen Vorschein auf die paradiesischen Zustände sehen, die uns blühen sollen.

 Es ist ja bemerkenswert, dass schon die Bibel, den Garten zum Gleichnis nimmt, wenn der Mensch mit Gott und der Natur in Einklang lebt. Der Garten, nicht der Urwald, nicht die Steppe und auch nicht die Wüste, ist der Ort der harmonischen Gemeinschaft zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen. Der Garten eben, der ein Stück von Menschen gestalteter Natur ist. Kein Kraut und Rüben, kein Ödland und kein Dschungel, sondern der Ort, an dem der Mensch eine kreative Ordnung schafft und so zum Mitschöpfer Gottes wird. Seine vornehme Aufgabe ist es, diesen Garten zu bebauen und zu bewahren, damit er ein paradiesischer Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Menschen wird. Und alle Geschöpfe auf ihre je eigene Art, den Schöpfer mit jeder Faser ihres Seins loben. Und dazu werden auch wir hoffentlich in diesem Sommer viele Gelegenheiten haben.

 

 

 

Mittelalterfest September 2017
Bald ist es soweit: Am 9. September 2017 werden wir in Angerstein das erste Mittelalterfest feiern. Zwar hat man ganz bestimmt auch im Mittelalter in Angerstein schon Feste gefeiert. Aber eben keine Mittelalterfeste, schlicht, weil man damals nicht wusste, dass man im Mittelalter lebte. Denn erst später, als man auf die Epoche mitten zwischen Antike und Neuzeit zurückblickte, sprach man vom Mittelalter.
Dabei ist es gar nicht so einfach, dieses Zeitalter genau zu begrenzen. Waren es die Eroberung Konstantinopels durch das osmanische Reich, die Erfindung der Buchdruckkunst, die Renaissance, die Entdeckung eines neuen Kontinentes im Westen, die das Mittelalter beendeten? Oder läutete die Wittenberger Reformation das Ende eines Zeitalters ein?
Uns reicht es zu wissen, dass vor etwa 500 Jahren tatsächlich eine neue Epoche in der Menschheitsgeschichte begann. Man spürte das, weil ehrwürdige Traditionen und unbedingte Autoritäten mit einem Mal in Frage gestellt wurden. Leibeigene begehrten auf und forderten ihre Rechte ein. Der Einzelne trat in den Mittelpunkt und wollte mitreden und mitentscheiden. So beklagten sich Bischöfe, dass sie nun schon mit einfachen Bauern über Fragen der Heiligen Schrift disputieren müssten. Unerhört! Schließlich forderte das Volk gar, die Pastoren selbst wählen zu dürfen! Denn man könnte sehr wohl die rechte von der falschen Lehre unterscheiden!
Damit dies möglich wurde, hatten die Reformatoren allen Christen die Bibel in ihrer Sprache in die Hand gegeben und sie zum Maßstab aller Reform gemacht. Um sie lesen und verstehen zu können, bedurfte es seinerseits nun der Bildung breiter Schichten der Bevölkerung. Mit der steigenden Bildung gewannen Begriffe wie Vernunft und Gewissen immer stärker an Bedeutung. Die Kirche dagegen verlor in Folge dessen ihr Monopol, die Wirklichkeit zu deuten. Sie wurde zurückgedrängt, Staat und Gesellschaft begannen sich zu verselbständigen.
Die umwälzenden Entwicklungen fanden in den Thesen Martin Luthers einen treffenden Ausdruck: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan, so lehrte es der Wittenberger Reformator. Damit brachte er neben der Freiheit die grundsätzliche Gleichheit der Menschen ins Bewusstsein, die nach seiner Lehre in der Priesterschaft aller Gläubigen verwurzelt ist.
Sicher blieb Luther selbst in vielen Dingen noch dem Mittelalter verhaftet. Er war ein treuer Untertan seines Fürsten und die für sich selbst in Anspruch genommene Glaubensfreiheit fand bei den Wiedertäufern und Juden schnell ihre Grenzen. Aber dennoch klingen bei den Reformatoren mit den Begriffen von der Freiheit, Gleichheit und Vernunft Themen an, die die Neuzeit maßgeblich bestimmen sollten. Sie wurden von der Aufklärung aufgenommen und verstärkt. Sie prägen unsere Kultur, unser Verständnis von Gleichberechtigung und Demokratie, von Menschenrechten und Humanismus bis heute. In der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen merken wir jetzt, dass diese Werte keineswegs selbstverständlich sind. Sondern ein hohes Gut, das es zu verteidigen gilt. Gegenüber intoleranten Strömungen, die von außen und innen kommen.
Einiges spricht dafür, dass man unsere Zeit im Rückblick auch einmal als den Beginn einer neuen Epoche bewerten wird. Ob alles begrüßenswert ist, was da über uns kommt, sei dahingestellt. Als Christen sind wir gut beraten, wenn wir, ähnlich wie die Reformatoren, dem Neuen gegenüber aufgeschlossen sind und doch nicht einfach dem Zeitgeist folgen. Sondern wie sie, immer wieder in lebendigen Austausch mit unserem Ursprung treten. Und uns von Jesus Christus die Maßstäbe setzen lassen. Dazu gehört nicht zuletzt: In Gemeinschaft fröhliche Feste zu feiern, zu denen jeder eingeladen ist und jeder etwas beitragen kann.

Herzlich
René Lammer, Pastor

Liebe Leserin, lieber Leser!

Passion - das ist Leiden und Leidenschaft. Beides gehört zusammen. Zumindest bei Jesus. Weil er sich leidenschaftlich für die Leidenden einsetzt, muss er selbst schließlich leiden. Er stört die Mächtigen, die vom Leid anderer profitieren. Sie verfolgen ihn mitleidlos bis zur letzten Konsequenz. So durchschreitet der leidenschaftliche Messias alles Leid dieser Welt, mit Leib und Seele.
Man legt ihn in Fesseln, man spuckt ihm ins Gesicht, man schlägt ihn, man bohrt ihm eine Dornenkrone auf das Haupt, man schlägt ihn ans Kreuz. Und das seelische Leiden wiegt nicht weniger schwer: der Hohn und Spott der Soldaten, die Verlogenheit der Priester, der Hass der aufgewiegelten Menge. Aber noch schlimmer: das Versagen der Freunde, die nicht eine Stunde mit ihm beten und wachen können, die kopflos fliehen, die ihn verleugnen. Schließlich der Endpunkt der Einsamkeit: der Selbstzweifel an der Richtigkeit der Mission, an der Grenze des Irrewerden sogar am himmlischen Vater: Mein Gott warum?
Passion - Leidenschaft und Leiden. Bei Jesus gehört beides unmittelbar zusammen. Aber nicht nur bei ihm. Auch der dunkelste seiner Freunde wird von Leidenschaft getrieben, auch er stürzt in namenloses Leiden. Judas, der wie die anderen alles hinter sich ließ um dem Meister zu folgen, dem auch die Vision des Reiches im Herzen gebrannt haben muss, der den Freund liebte und dessen Kuss sicher nicht nur ein Zeichen des zynischen Verrates war, auch Judas wird von Leidenschaft getrieben.
Man hat sich lange gefragt, wie es dazu kommen konnte, dass er Jesus den Feinden auslieferte. Man hat gerätselt, ob er vielleicht so den Menschensohn provozieren wollte, seine Göttlichkeit im letzten Augenblick unter Beweis zu stellen. Wenn alles schon verloren erscheint, die himmlischen (oder auch irdischen) Heerscharen um sich zu sammeln und den letzten Aufstand gegen Fremdherrschaft zu wagen. Man den Verrat des Judas auch zu erklären versucht, als eine Reaktion der Enttäuschung, weil Jesus sich nicht als der Freiheitskämpfer erwiesen hatte, den er sich wünschte.
Mag sein, dass an diesen Deutungen etwas Richtiges ist. Die Bibel selbst nennt allerdings einen trivialeren Grund: „Was gebt ihr mir“, so fragt Judas die Priester, „damit ich ihn euch verrate?“ Und sie antworten: „Dreißig Silberlinge! “ Dreißig Silberlinge für das Leben des Freundes.... Die Bibel sagt, dass Judas in den Bann des Geldes gezogen wurde und diese Macht ihn nun auf unheimliche Weise bestimmte. An Judas und Jesus wird die Wahrheit manifest, die der Messias zuvor den Jüngern mitgeteilt hatte: „Man kann nicht zwei Herren dienen. Entweder wird man den einen hassen und den anderen lieben, oder an dem einen hängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott und dem Mammon dienen.“ So einfach ist das, so kompromisslos, so aktuell ist das. Wer sich unter die Macht des Geldes stellt, wer sich das Geld zum Götzen macht, kann nicht mehr dem Mann aus Nazareth nachfolgen. Der hat ihn innerlich verlassen, dieser Entscheidung folgt dann früher oder später die Tat.
Aber wer den lebendigen Gott verlässt, zahlt selbst auch einen hohen Preis. Nicht nur die Zerstörung anderer, sondern er riskiert auch die Selbstvernichtung: Als Judas sah, was er angerichtet hatte, ging er zu den  Hohepriestern, brachte ihnen die dreißig Silberlinge zurück und sagte: „Ich habe Unrecht getan als ich unschuldiges Blut verriet.“ Sie aber sagten: „Was geht uns das an? Sieh du zu.“ Und Judas warf die Silberlinge in den Tempel und erhängte sich.“
Wie geht es weiter? Drei Tage später wird Jesus auferstehen. Seine Leidenschaft wird sich auf die Jünger übertragen, so sehr, dass auch sie bereit sein werden, alleine Gott Gott sein zu lassen und für das wahre Menschsein zu leiden. Diese Leidenschaft ist es, die allein die Welt bis heute lebendig gehalten hat und die uns allen die Zukunft offen hält.

Herzlich
René Lammer

Liebe Leserin, lieber Leser!

Weit war der Weg bis zu dieser Erkenntnis und noch weiter wird der Weg sein, bis sich die Erkenntnis in den Köpfen der Menschen durchsetzen wird: Gott ist einer und dieser eine ist in gleicher Weise allen Menschen zugewandt, die auf unserer Welt leben. Denen, die ihm fern stehen nicht weniger als denen, die sich seiner Nähe bewusst sind.
Israel hat Jahrhunderte gebraucht, um zu dieser Einsicht zu gelangen und bezeichnend ist, dass sie zuerst formuliert wurde, als das Selbstbewusstsein dieses Volkes einer äußersten Belastungsprobe unterworfen war. Damals im babylonischen Exil im sechsten Jahrhundert vor Christi Geburt, fernab vom Tempel, abgeschnitten von der Sicherheit religiöser Traditionen, begann sie sich durchzusetzen: Nicht nur auf unserer Errettung ist der Wille Gottes gerichtet, sondern er gilt gleichermaßen allen Völkern bis in die fernsten Länder dieser Erde. Das ist kein Gott, der unsere nationalen Interessen und Wünsche rechtfertigt, gar gegen die Wünsche und Interessen anderer Menschen oder Völker. Der Gott, mit dem wir es zu tun bekommen haben, will, dass allen Menschen geholfen werde und alle zum wahrhaftigen Leben gelangen.
Ich glaube nicht, dass wir die Bedeutung dieser Erkenntnis überschätzen, geschweige denn, auf sie verzichten können. Gerade heute nicht, weil der Egoismus schrankenlos zu werden droht; gerade heute nicht, weil ein gefährliches Freund Feind Denken wieder stärker um sich greift und einige schon vom Kampf der christlichen und islamischen Kulturen sprechen; gerade heute nicht, weil die gewaltsame Lösung von Konflikten immer selbstverständlicher zu werden droht.
Ich bin davon überzeugt, dass gegen diese fatalen Entwicklungen allein der Glaube helfen kann. Der Glaube an den einen Gott, der das Gute für alle Menschen will, sie mögen uns nahe stehen oder fremd sein. Nur mit diesem Glauben ist eine wahre Humanität möglich, ohne ihn verkommt alle Ethik früher oder später zur Dschungelmoral: zum (Un-) Recht des Stärkeren.
Gott ist allen Menschen gleichermaGen zugewandt und im Glauben an ihn sind die Widersprüche, unter denen die Welt leidet schon überwunden, da hat die Versöhnung schon stattgefunden, da ist der Feindschaft unter den Menschen die Grundlage entzogen.
Diese Zuwendung Gottes ist in Jesus Christus konkret geworden und wir feiern sie im Advent. Sie ist die frohe Botschaft, die allem Volk widerfahren soll, ist der Friede, der begonnen hat und der sich durchsetzen wird - allem Anschein zum Trotz.
Eine friedliche Adventszeit und ein gesegnetes Weihnachtsfest wünscht Ihnen

René Lammer, Pastor

Liebe Leserinnen und Leser!

In diesem Jahr, am 31. Oktober, beginnt offiziell das Reformationsjubiläum. Ein Jahr lang wird es eine Fülle von Veranstaltungen geben, in denen vor allem die protestantischen Kirchen an die Reformation erinnern. Denn vor
genau 500 Jahren erreichte sie in Wittenberg einen ersten Höhepunkt. Der Augustinermönch und Theologieprofessor Martin Luther schlug am 31 .Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel der römisch-katholischen Kirche an die Schlosskirche in Wittenberg. Damit wurde eine Bewegung in Gang gesetzt, die, wie kaum eine andere, die Geschichte des Abendlandes geprägt hat.
Dabei hatte Martin Luther keineswegs im Sinn, eine globale Veränderung zu bewirken. Er wollte auch keine neue Kirche gründen. Ja, es war nicht einmal sein wesentliches Interesse, die mittelalterliche Kirche, mit all ihren Missständen, zu erneuern. Er suchte vielmehr die Antwort auf eine existentielle Frage, die ihn zutiefst beunruhigte. Er wollte wissen: „Wie finde ich einen gnädigen Gott?“
Dieser Frage ging er mit aller Leidenschaft nach, bis er schließlich, in den Briefen des Paulus, die Antwort fand, die ihm Freiheit und inneren Frieden schenkte. Er begriff, Gott ist es, der ihn um Christi willen freispricht. Diesen Freispruch annehmen, heißt glauben.
Was er dort im Neuen Testament entdeckte, war für ihn von so zentraler Bedeutung, dass er für die gefundene Wahrheit bereit war, alle Konsequenzen auf sich zu nehmen. Martin Luther wusste sich einer letzten Instanz gegenüber verantwortlich. Er wusste, dass vor dieser letzten Instanz, kein Priester, kein Heiliger, keine Kirche ihn vertreten könnte. So wurde ihm alle weltliche Macht relativiert. Er gewann eine Haltung, die sich am besten mit dem Wort "Zivilcourage" beschreiben lässt.
Vor dem Reichstag in Worms stellte er sich dem Kaiser, den Bischöfen und Fürsten entgegen und verteidigte seine Position. Als Luther zum Widerrufen seiner Schriften genötigt wurde, antwortete er: „Ich kann und will nicht widerrufen. Wenn man mich nicht mit der Vernunft oder der Heiligen Schrift von meinen Irrtümern überzeugt, bin ich in meinem Gewissen gefangen.“
Gewiss: Luther war kein Held und erst recht kein Heiliger. Und doch wird man ihm den Respekt nicht versagen können. Denn er hat ein Zeichen gesetzt, das auch nach 500 Jahren seine Aktualität nicht verloren hat: Gegen alle Oberflächlichkeit und gegen allen Opportunismus. Gegen eine Haltung, die krampfhaft immer alles ganz locker sehen muss und im Zweifelsfall das Fähnchen in den Wind hängt. Und er hat ein Zeichen gesetzt für die unbedingte Suche nach der Wahrheit und das konsequente Einstehen für seine Überzeugungen. Davon wollen wir uns alle - ob lutherisch, katholisch oder reformiert - gerne ein Jahr lang immer wieder neu ermutigen lassen.
Herzlich
René Lammer, Pastor

Liebe Leserinnen und Leser!

„Sag mal, was ist Pfingsten eigentlich für ein Feiertag?“ „Keine Ahnung. Hat irgendetwas mit der Kirche zu tun, glaub ich.“ Es ist ein paar Tage her, dass ich, ohne es zu wollen, Zuhörer dieses kleinen Dialoges wurde. Da wollte ich es mir nicht nehmen lassen, mit den ratlosen jungen Männern ein Gespräch über die Bedeutung der christlichen Feiertage anzufangen. Immerhin stellte sich dabei heraus: Den Beiden waren ihre Wissenslücken doch zumindest etwas peinlich. Von wegen: christliches Abendland... müsste man es da nicht wissen? Genau!
Kein Zweifel: Wir leben heute in einer Zeit des rasanten Traditionsabbruches. Was man früher fraglos von Generation zu Generation weitergab - heute ist es in nennenswerten Teilen der Bevölkerung schon fast aus dem Bewusstsein verschwunden. Was vor fünfzig Jahren noch jedes Kind auswendig aufsagen konnte - heute ist es selbst Erwachsenen nicht einmal mehr vom Hörensagen bekannt.
Was das für den inneren Zusammenhalt eines Gemeinwesen bedeutet, können wir heute in seiner ganzen Tragweite vermutlich noch gar nicht angemessen einschätzen. Und wer weiG: Vielleicht ist das Erstarken nationalistischer Bewegungen - bei weitem nicht nur in Deutschland - ja nichts weiter als eine Reaktion auf eben diesen Traditionsabbruch. Man spürt: Mit der Tradition schwindet auch die kollektive Identität und so unternimmt man den traurigen Versuch, sie durch die rigorose Abgrenzung von allem Fremden wiederzufinden. Und noch einen Schritt weiter: Vielleicht sind die rechten, populistischen Parteien bei uns im Westen auch nichts anderes als die Zwillingsschwestern der islamistischen Strömungen in den arabischen Ländern. Den einen wie den anderen ist nämlich vor allen Dingen der Triumphzug des Liberalismus, mit seiner Relativierung aller Werte und Traditionen, verhasst.
Vielleicht wundert es Sie, dass ich selbst den Traditionsabbruch nicht nur mit Sorge betrachte. Natürlich: Da bricht weg, was Menschen Jahrhunderte lang Halt gegeben hat. Gleichzeitig bleibt ein unermesslicher Schatz an Erfahrungen, den Generationen vor uns angesammelt haben, für viele Menschen heute ungenutzt. Das lässt Verunsicherung und ein gefährliches Vakuum zurück.
Und doch: Weil nichts mehr selbstverständlich ist, besteht nun auch die Chance, dass neu gesucht wird. Dass nicht einfach nur gedankenlos übernommen wird, was die Eltern, die Pastoren und Lehrer einem übermittelten. Sondern, dass man nun wissen will, was es denn bedeutet und wofür es gut ist. So kommt alles auf den Prüfstand. Es entsteht ein neues Fragen. Es kommt Neugier auf. Gut so!
Dieses Fragen bezieht sich auch auf die Grundlagen des Glaubens und der Kirche. Und ich finde es erfreulich, dass wir darüber nun ins Gespräch kommen. Man hat einmal gesagt: Gott habe keine Enkel, er habe nur Kinder. Damit soll ausgedrückt werden, dass man vielleicht Traditionen, aber eben nicht den Glauben vererben kann. Den muss sich jeder selbst aneignen. Muss selbst Antworten finden auf die Fragen: Welchen Sinn hat mein Leben? Was ist mir am christlichen Glauben wichtig und welche Kirche wünsche ich mir? Aber auch: An was oder wen glaube ich, wenn ich nicht an Gott glaube? Und wo finde ich eine verlässliche Gemeinschaft, wenn ich mich nicht zur Kirche halte?
Es ist gut, wenn wir über diese Fragen ins Gespräch kommen. Ohne Scheu und ohne Vorurteile. Wenn wir gemeinsam auf Entdeckungsreise gehen. Wenn wir Altes neu entdecken, aber auch Altes getrost beiseite legen und Neues schaffen. Wenn wir zusammen in der Tradition suchen und die, die vor uns waren, mit in die Suche einbeziehen. So werden wir Teil einer Erzählgemeinschaft von Menschen, die sich immer wieder auf den Weg gemacht haben. Und gleichzeitig werden wir so Teil einer internationalen Bewegung, die heute in allen Teilen der Welt unterwegs ist.
Ja, lassen Sie uns miteinander und mit den Menschen vor uns und an allen Orten ins Gespräch kommen über Dinge, die wirklich von Bedeutung sind. Ich bin sicher, das wird spannend. Und Sie haben uns auch dazu gerade noch gefehlt!
Herzlich
Ihr René Lammer, Pastor

Liebe Leserin, lieber Leser!

Neulich, die erste Stunde mit den Konfirmanden. Wir sprechen über Jesus Christus. Ich gebe ihnen einen Steckbrief, den die Jugendlichen ausfüllen sollen. Die meisten sachdienlichen Hinweise können sie der Bibel entnehmen. Wann wurde Jesus geboren und wo? Was wissen wir über seine Familie, seine Freunde und seinen Beruf? Wie nannte man ihn noch und zu welchem Volk gehörte er? Schließlich galt es auch noch herauszufinden, warum man ihn anfeindete, wer seine Gegner waren, aus welchen Gründen man ihn anklagte und dann zum Tode verurteilte.
Am Ende bekommen die Konfirmanden noch verschiedene Bilder. Sie sollen eines aussuchen, das ihrer Meinung nach am besten zu Jesus passt. Natürlich sind die üblichen Darstellungen dabei: Ein Mann mit langem, lockigen Haar, Vollbart und dem unverkennbar sanften Blick. Da „weiß“ man doch sofort, um wen es sich handelt, oder? Und: warum eigentlich?
Es sind aber auch einige unkonventionellere Bilder dabei. Eines zeigt einen Mann mit Dornenkrone, der hinter Gefängnisgittern sitzt. Den Kopf gebeugt. Traurig. Kraftlos. Ohne alle Hoffnung. Es ist aus und vorbei. Die Figur strahlt Ohnmacht und grenzenlose Einsamkeit aus.
Einer der Jungen wählt diese Zeichnung. Er begründet seine Wahl: Jesus ist doch gescheitert mit dem, was er wollte! Seine Freunde haben ihn verlassen. Man nimmt ihn gefangen. Er wird verspottet und geschlagen. Er wird verurteilt, dann stirbt er am Kreuz. Das war es. Und die Welt? Die ist doch durch ihn auch nicht besser geworden.
Wir spüren, den Argumenten des Konfirmanden können wir uns nur schwer entziehen. Und für einen Moment kommt in der Gruppe eine ernste Nachdenklichkeit auf. Fast Beklommenheit. Ist es nicht so, dass auch damals in Jerusalem das Böse triumphiert hat? Die Lüge, der Verrat, die Niedertracht und Mordlust? Und hat sich seitdem denn wirklich etwas zum Guten gewandelt? Oder gibt es am Ende vielleicht doch keine Gerechtigkeit auf Erden?
Schließlich bringt eines der Mädchen einen neuen Gedanken ein. Sie sagt: Aber wir sitzen doch hier zusammen und hören auf das, was Jesus gesagt und getan hat. 2000 Jahre nachdem er gelebt hat. Das ist doch damals nicht einfach alles vorbei gewesen. Das ging und das geht doch weiter. Zum Beispiel auch mit uns hier. Ohne Jesus - wer weiß, wie die Welt dann aussähe.
Ich denke, die Jugendlichen haben an diesem Tag eine wichtige Bedeutung von Karfreitag und Ostern für sich entdeckt. Wenn Christen an diesen Feiertagen in besonderem Maße an Kreuz und Auferstehung Jesu denken, dann bringen sie ja auch das zum Ausdruck: Wir stellen uns der brutalen Wirklichkeit des Todes. Wir beschönigen nicht die Ungerechtigkeit auf dieser Welt. Wir rechnen mit ihrer abgrundtiefen Bosheit.
Aber wir Christen weigern uns trotzdem, den Zustand der Welt als eine letzte Wirklichkeit anzuerkennen. Lug und Trug, Spott und Einsamkeit, Tod und Teufel und Terror haben nicht das letzte Wort. Das letzte Wort behält Gott. Und er hat Gutes mit dieser Welt im Sinn. Er stellt sich den Mächten des Bösen entgegen, er unterwirft sie. Dort am Kreuz ist der entscheidende Sieg errungen worden. Die Zeitenwende. Mit der Auferstehung ruft Gott Christus in ein neues Leben. Die alles bezwingende Macht des Todes ist nun gebrochen. Durch den Glauben sind auch wir heute von seiner Macht befreit. Wir müssen den Tod nicht aus unserem Leben verdrängen, wir müssen nicht krampfhaft versuchen, ihn totschweigen. Wir dürfen glauben, dass die lebenschaffende Kraft Gottes stärker ist. Dass auch wir eine Perspektive über den Tod hinaus haben.
Das Kreuz ist nicht die letzte Station. Dadurch fällt auch auf alles, was der Mann aus Nazareth gesagt und getan hat,
ein neues Licht. Es wird gleichsam bestätigt. Sein Eintreten für die an den Rand Gedrängten. Sein Vertrauen in die
Veränderbarkeit der Welt. Seine konsequente Gewaltlosigkeit. Die Freiheit von aller Furcht. Diese grenzenlose Liebe, die in seinem Leben durch alles hindurchscheint.
Und indem wir die Worte Jesu hören, indem wir uns von seinen Taten inspirieren lassen, führen wir fort, was er gesagt und getan hat. Zeigen wir: Nichts ist vergeblich gewesen. Und auch das, was wir in seinem Geist sagen und tun, wird nicht vergeblich sein. Ob wir scheitern oder Erfolg haben. In allem werden wir etwas von Jesus Christus widerspiegeln. Wird sein Geist in uns und durch uns spürbar werden. Und wir werden so Zeichen der Hoffnung setzen. Für diese Welt, die es noch immer so bitter nötig hat.
Herzlich
Ihr René Lammer

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Heimat, so sagt der Philosoph Bloch, das sei etwas, worin noch niemand war, das uns aber allen in der Kindheit scheine. Wenn das stimmt, dann wird für uns in diesem Jahr der Advent eine besondere Bedeutung haben. Denn meine Frau und ich, wir kommen am 1. Dezember wieder dort an, wo wir vor vielen Jahren einen wichtigen Teil unserer Jugend verbracht haben.
Ich selbst habe etliche Jahre in Katlenburg und in Bovenden, in der Zehntenstraße, gewohnt. Als wir vor ein paar Wochen, im Zuge der Pfarrwahl, ein wenig die Dörfer und Straßen in Northeim und Angerstein durchstreiften, kamen dann auch tatsächlich ganz heimatliche Gefühle auf. Gewiss, auch hier ist die Zeit nicht stehen geblieben, aber wir konnten doch die Vertrautheit spüren, die sich nach 20 Jahren Leben in der Ferne einfach gut anfühlte.
Heimat, das ist ein schwer zu beschreibendes Wort. Heimat, das ein noch schwerer zu übersetzendes Wort. Heimat, das ist auch ein reichlich missbrauchtes Wort. Und doch ist es eben ein Wort, bei dem warme und freundliche Gefühle entstehen. Da weiß man, hier hat man einen Platz, ein Recht zu sein, hier bewegt man sich mühelos in der Sprache, den Sitten und Gewohnheiten.
Dazu steht in einem seltsamen Kontrast, was von Advent, der Ankunft Gottes, in der Bibel berichtet wird. Johannes schreibt: Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Anders gesagt: Er kam in seine Heimat und er wurde vertrieben. Genau das ist die Geschichte von Jesus in einem Wort. Erst müssen Maria und Josef von Nazareth nach Bethlehen, dort finden sie keine Herberge, dann fliehen sie nach Ägypten. Und auch später, als Jesus zum erwachsenen Mann wird, hört die Geschichte der Verfolgung nicht auf. Bis sie am Kreuz endet. Es ist verrückt: Die Menschheit sehnt sich nach Gott und wenn er kommt, dann vertreibt sie ihn gleich wieder.
Glücklicherweise lässt sich Gott aber nicht vertreiben, sondern Johannes erzählt weiter: Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. So viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden. Die ihn aufnahmen, sind seine Gemeinde und inmitten aller Unwirtlichkeit der Welt, entsteht ein Ort, von dem ein warmer Glanz ausgeht. Eine Ahnung schon von etwas, worin niemand war. Etwas, was uns allen in die Kindheit scheint. Heimat.
Natürlich denken wir in der Adventzeit unweigerlich an die vielen Menschen, die ihre Heimat jetzt verloren haben. Die zu uns kommen und Schutz benötigen. Und wenn schon nicht Heimat, dann zumindest eine Lebensperspektive suchen. Bei allen, was das an Problemen bedeutet, wünsche ich mir doch, dass wir die Menschen, die zu uns kommen, nicht in erster Linie als Problem betrachten. Sondern als Menschen, denen Gott in besonderer Weise nahe ist. Die deshalb auch unser Leben bereichern, wenn wir offen sind für sie.
In Athen haben wir vor einem Jahr eine internationale Migrantengemeinde in unsere Kirche aufgenommen. Selbstverständlich: Es gab warnende Stimmen. Befürchtungen wurden laut - Stirne legten sich in Falten. Und natürlich läuft nicht alles reibungslos, wenn Menschen unterschiedliche Kulturen Räume teilen. Aber bei allem ist es unsere deutschsprachigen Gemeinde gewesen, die durch die mitreißende Vitalität dieser bunten Gemeinschaft aus 22 Nationen gewonnen hat.
Die neue Impulse für ihr eigenes Leben erhält und die einfache Wahrheit erfährt: Wer gibt, wird selbst beschenkt.  Mit unserer Ankunft in Northeim und Angerstein beginnt nicht nur für uns, sondern auch für die beiden Gemeinden eine neue Strecke des Weges. Zwei Gemeinden teilen sich einen Pastor, das wird auch immer wieder die Notwendigkeit zu Abstimmungen und Kompromissen mit sich bringen. Zumal die Erwartungen, wenn ich das richtig wahrgenommen habe, auch unterschiedlich sind. Und wenn ich schon die Arbeitszeit teilen muss, dann möchte ich Ihnen schon zu Beginn zusichern, das ich in beiden Gemeinden mit ganzem Herzen arbeiten möchte. Dafür, das unsere Gemeinden das sein können, wofür Gott sie in der Welt bestimmt hat: Ein Ort, an dem noch niemand war, der uns aber allen in der Kindheit scheint.
Und besonders in der Weihnachtszeit die Ahnung in uns darüber verstärkt wird, was einmal für alle Menschen werden soll: Ehre Gott in der Höhe und Frieden auf Erden. Und also: die Welt zur Heimat wird.

Mit guten Wünschen für eine friedliche Advents- und Weihnachtszeit und Gottes Segen im Neuen Jahr
Ihr Renè Lammer

Liebe Leserin und Leser

1. Petrus 4,10: Dient einander - jeder mit der Gabe, die er und sie erhalten hat.

150 Schiffe nahmen am letzten Wochenende am Treffen der historischen Schiffe in Leer teil. Eine ganze Bandbreite sehr unterschiedlicher Schiffstypen war versammelt: vom Dampfschlepper über die Yacht zum umgebauten Plattbodenschiff mit großen Segeln.
Und jedes Boot war liebevoll restauriert worden: viele interessante Einzelheiten gab es zu entdecken: vom liebevoll geschnitzten Namenszug bis zur bemalten Ruderpinne.
Den Besitzern, die oft auf dem Deck ihren Kaffee tranken, sah man an, dass es ihnen Spaß machte, die Schiffe zu pflegen und dann auch zu fahren. Man sah der Besatzung an, dass sie begeistert waren für ihr Schiff. Und man sah es den Schiffen an, dass sie eine gute Mannschaft hatten, die sie pflegten. Denn: jedes Schiff braucht eine Mannschaft, die es fährt.
Dabei sollte jede und jeder ihren und seinen Job kennen, um die eigene Aufgabe gut zu machen. Man muss aufeinander hören und den anderen wahrnehmen: es braucht Teamgeist! Und der Team-Geist braucht wiederum eine klare und gute Kommunikation. Die Aufgabe des Kapitäns ist es, das Ziel im Auge zu behalten und die Kommunikation zu steuern - denn die Mannschaft kommt nur gemeinsam voran.
Dabei kommt man selten auf geradem Weg zum Ziel: man muss Umwege fahren an Riffen und Untiefen vorbei und manchmal auch gegen den Wind kreuzen, um voranzukommen. Ist dann das Ziel erreicht, freut man sich gemeinsam und feiert das dann auch dem entsprechend. Oft wird die Kirche mit einem Schiff verglichen: die Gemeindeglieder sind dann die Mannschaft. Die Frage an jede einzelne und jeden einzelnen von uns ist: wo stehe ich an Bord dieses Schiffes? Gerade in Umbruchsituationen stellt man sich diese Frage.
Der Pfarrstellenwechsel in einer Gemeinde ist eine solche Umbruchsituation: nach vielen Jahren kommt nun ein neuer Kapitän an Bord. Da heißt es sich zu fragen: wie können wir den Kapitän bei seiner Arbeit unterstützen.
Denn ein Kapitän kann nicht alles alleine machen: es geht nicht, dass er am Steuerruder steht, die Segel fiert und gleichzeitig das Deck schruppt. Dazu gehört die ganze Mannschaft!
Gottes Geist, der alles leitet und uns den richtigen Kurs weist, ist ein Team-Geist: Gott als Reeder des Schiffes will, dass wir als Mannschaft zusammen arbeiten. Man sieht es der Mannschaft an, ob sie gerne auf dem Schiff fährt und man sieht es dem Schiff an, ob es eine gute Mannschaft hat.
Ich wünsche dem Schiff "Angerstein/Northeim" für die Zukunft eine gute Fahrt - Schiff Ahoi!
Ihr Vakanzvertreter Pastor Detlef Geiken

Liebe Leserin und Leser

Nach fast 38 Jahren geht mein Dienst in der Evangelisch-reformierten Kirche Northeim zu Ende. Ich blicke zurück auf eine bewegte Zeit mit vielen Veränderungen, Schwierigkeiten und Höhepunkten.
Als Vikar in der vakanten Gemeinde galt es zuerst die Verstreuten-Situation der Gemeinde kennenzulernen, in der das Northeimer Gemeindehaus mit seiner Pfarrerdienstwohnung das Zentrum bildete. Kennzeichnend ist, dass meine erste Beerdigung in Osterode war und die letzte in Wahmbeck an der Weser. Durch all die Jahre habe ich in Osterode jährlich 10 Gottesdienste in der St. Marien-Kirche gehalten, die mir in dieser Zeit ans Herz gewachsen ist. Eng verbunden fühle ich mich der St. Blasien-Kapelle, an deren vollständiger Restaurierung in den Jahren 1977 – 1981 ich mitwirken konnte. Sie gilt als wahres Schmuckstück Northeims.
Die Predigt und der Gottesdienst als Mitte des Gemeindelebens waren mir stets ein besonderes Anliegen. Kirche lebt nicht von immer neuen und größeren Events, sondern davon, dass sie sich unter dem Wort versammelt, und dass die gute Nachricht von der Vergebung der Sünden und der ewigen Gerechtigkeit, die uns geschenkt ist, als frohmachend erfahren wird.
Dankbar bin ich für das fruchtbare und stets freundschaftlich geprägte ökumenische Gespräch mit den anderen Kirchen und Konfessionen, an dem die kleine reformierte Kirche gleichberechtigt beteiligt war. Angefangen hat es mit ökumenischen Andachten im Northeimer Krankenhaus und seit Jahren ist der gemeinsame Pfingstgottesdienst aller Northeimer Kirchen am Pfingstmontag nicht mehr wegzudenken.
Im Bereich der Diakonie hat die Suchtkrankenhilfe mir immer am Herzen gelegen. In der „Dienstagsgruppe“ konnte zahllosen Menschen geholfen werden – niederschwellig, kostenfrei und ohne jede Bürokratie. Nach 43 Jahren des Bestehens wird sich die „Dienstagsgruppe“ mit meinem Abschied auflösen. Sie alle haben erfahren: Jede Befreiung vom Trinken-Müssen ist ein Ja zum Leben.
Auf gesamtkirchlicher Ebene konnte ich als Mitglied der Gesamtsynode 22 Jahre lang bis 2013 im Finanzausschuss unserer Kirche mitarbeiten. Auch das habe ich gerne gemacht.
Es gäbe noch viel zu ergänzen. Von der vertrauensvollen Zusammenarbeit im Kirchenrat, vom 50-jährigen Gemeindejubiläum im Jahr 2008, von den attraktiven Städtetouren in den zurückliegenden 10 Jahren und der guten Kooperation mit der seit 2008 unter einem Pfarramt verbundenen Schwestergemeinde Angerstein. Es war eine ereignisreiche Zeit.
Viele Menschen sind mir mit einem großen Vertrauensvorschuss entgegengekommen. Dies gilt für Gemeindemitglieder, für Mitarbeiter und Kollegen, aber auch für viele, viele darüber hinaus. Für dieses Geschenk bin ich dankbar, und ich hoffe, dieses Vertrauen nicht allzu oft enttäuscht zu haben. Wo dies geschehen ist, bitte ich um Nachsicht, wo ich etwas nicht richtig gemacht habe, bitte ich, mir zu verzeihen.
Trotz allem freue ich mich jetzt auf den Wechsel in den Ruhestand, der auch unserer Gemeinde gut tun wird. Sie wird davon profitieren, wenn jemand mit neuen Ideen und frischem Engagement das Pfarramt übernimmt und ins Gemeindehaus einzieht, in dem unsere beiden Töchter geboren und aufgewachsen sind. Unsere Familie hat gern dort gewohnt und viele gute Erinnerungen an eine glückliche Zeit.
Ich werde Ende Mai aus dem Dienst ausscheiden und werde verabschiedet am 14. Juni in einem Gottesdienst um 15 Uhr in der St. Sixti-Kirche, in der ich am 20.4.1980 auch ordiniert und ins Pfarramt eingeführt wurde.
Mit meiner Frau werde ich weiter in Northeim wohnen und somit weiterhin der reformierten Gemeinde angehören. Als Pastor verabschiede ich mich von Ihnen mit einem herzlichen Dank für fast 38 Jahre gutes Miteinander und dem Wunsch, dass dieses gute Miteinander in der Gemeinde erhalten bleibt und weiterentwickelt wird.
Ich wünsche Ihnen allen Gottes Geleit auf allen Ihren Wegen.

Herzlichst

Ihr
Pastor Reinhard Sell

Liebe Leserin, lieber Leser,

Jahreslosung 2015: "Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob."

Viele Herzen schlagen zu Beginn des Jahres unruhig. Der Schrecken über die zurückliegenden Terrorakte hat zu weltweiter Verunsicherung geführt und steckt noch in den Gliedern.
Und Gründe zum Erschrecken gibt es viele: Wenn persönliche Beziehungen zerbrechen, wenn Krankheit alles verändert, wenn die Zukunft unsicher erscheint. Viele wachen mit Herzklopfen auf, weil der Arbeitsplatz auf der Kippe steht; das Herz schlägt bis zum Hals, weil privates Glück zerbrochen ist; Herzschmerzen haben die, die von einem lieben Menschen Abschied nehmen mussten.
Die täglichen Nachrichten wollen uns einreden: Die ganze Welt ist ein Ort des Schreckens. Hass und Gewalt, Krieg und Terror nehmen zu auf der Erde. Epidemien und Naturkatastrophen, Bedrohung durch Klimawandel und Finanzkrise lassen uns erschrecken, wenn wir kein Herz aus Stein haben.
Aber Erschrecken und Angst sind keine guten Wegbegleiter.
Jesus lädt uns ein, Gott als den Herrn der Welt und den Herrn unseres Lebens anzuerkennen: „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“, sagt er im Johannesevangelium zu Beginn seiner Abschiedsrede (Joh. 14,1). Jesus spricht seinen verängstigten und erschrockenen Jüngern Mut zu. So ungewiss die Zukunft auch erscheint, habt keine Angst. Er sagt nicht, ich nehme euch die Angst ab, sondern er mahnt ihren Glauben an. „Glaubt an Gott und glaubt an mich“!
Das Erschrecken, das die Jünger lähmt, sollen sie durch Glauben überwinden. Sie sollen in Jesus, dh. in seinem Wort bleiben, dann wird das Erschrecken weichen und sie werden die Geborgenheit in der Liebe Gottes erfahren.
Wie kann man angesichts von so viel Schrecken in der Welt, angesichts von so viel Leid, das Menschen bedrückt, überhaupt Ostern feiern, den Sieg über den Tod?
Ich frage umgekehrt: Wie kann man Ostern feiern, ohne von Leid und Tod gezeichnet zu sein? Was soll die frohe Osterbotschaft, wenn ohnehin alles rund läuft?
Wir brauchen Ostern, weil die Welt so ist, wie sie ist: zerbrochen, unheil, dem Tod verfallen. Wir brauchen Ostern, weil wir Menschen so sind, wie wir sind: verletzt und verletzend, belastet und enttäuscht.
In genau diese Welt ist Jesus eingetreten und es begann seine Leidensgeschichte, die wir in den Wochen vor Ostern besonders bedenken. Weil ihn das Leid der „Mühseligen und Beladenen“ anrührt, greift er ein - im Namen Gottes. Weil ihn das Elend packt, packt er selbst zu, heilt, verkündet die verzeihende Barmherzigkeit Gottes. Doch er wird aus dem Weg geräumt, umgebracht – um Gottes willen, wegen Gotteslästerung. So hieß es und so heißt es bis heute.
Doch am dritten Tag steht die Ostersonne über dem Kreuz. Das Todeswerkzeug ist zur Rettungsleiter geworden. Weil Jesus durch Gottes Kraft lebt, wird sein Kreuz zur Leiter, wird das tötende Holz zum grünenden Lebensbaum. Der Tod ist durch Ostern nicht weggewischt, aber er behält nicht das letzte Wort. Jesu Verheißung an seine Jünger: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ (Joh. 14,19)
Das können Sie glauben! Darum sage ich Ihnen: Frohe Ostern!

Ihr Reinhard Sell

Das sollt ihr wissen ...

Liebe Leserin, lieber Leser!
Ohne Geld läuft nichts! oder: Ohne Moos nix los! Geld gegen Ware, Zug um Zug. Was wir haben wollen, müssen
wir bezahlen. So läuft das. Ich gebe etwas und dafür bekomme ich etwas zurück. Waren, Dienstleistungen, Zeit, Arbeitskraft. Jeder muss bezahlen – so funktioniert das Leben, das Wirtschaftsleben jedenfalls.
Merkwürdig, wie sehr man sich freut, wenn es doch mal anders ist. Der Grappa auf Kosten des Hauses beim Italiener. Ein Busfahrer, der einen Moment auf mich wartet und nicht einfach losfährt. Die erlösende Nachricht beim Arzt: Befund negativ. Die Frau am Gemüsestand, die mir noch drei Tomaten und ein Bund Basilikum einfach so einpackt. Die SMS-Nachricht der Tochter: Dicker Kuss! Ich hab dich lieb, Papa.
Das alles und noch viel mehr: Überraschend. Unerwartet. Umsonst. Geschenkt. Ohne Gegenleistung. Einfach so.
Das ist fast verwirrend. Ist daran auch nichts faul? Hat die Sache auch keinen Haken? Nein. Es ist immer wieder schön. Danke!
Die Menschen, die Weizen, Rüben und Kartoffeln auf den Feldern ernten und Johannisbeeren, Äpfel, und Karotten aus dem Garten holen, spüren direkter und erleben bewusster: Ernten ist nicht nur gerechter Lohn für harte Arbeit. Ernten ist mehr als Leistung für Gegenleistung, mehr als Warentausch, Zug um Zug. Ernten ist zumindest zu einem Teil unverfügbar, unkalkulierbar.
Erntedank erwächst aus dem Staunen: Da wird etwas zum eigenen Einsatz dazugelegt – einfach so. Da gibt es manchmal eine Überraschung: „ Sieh nur, was für ein riesiger Kürbis!“
Erntedank wächst aus der Ahnung: Auch im Garten und auf dem Feld gibt es einen nicht zu berechnenden Überschuss. Ja, im ganzen Leben gibt es das: Ich bekomme mehr, als ich mir selbst erarbeitet habe, als ich verdient habe. Von anderen Menschen, von Gott. Von Gott, der das Leben gibt, der will, dass mein Leben gelingt.
Erntedank: Neben die Ähren, Weintrauben und Kartoffeln lege ich in Gedanken auch das, was mir geschenkt wird: den Grappa und die liebevolle SMSNachricht und den Arztbefund. Alles gratis, das heißt: „aus Gnade“.
Erntedank: Eine Erinnerungshilfe, die mir lächelnd sagt: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was ER
dir Gutes getan hat.“ (Psalm 103,2)
Ich wünsche Ihnen, dass Sie Gottes reichen Segen empfangen und ihn teilen mit anderen.

In herzlicher Verbundenheit, Ihr

Pastor Reinhard Sell

Liebe Leserin, lieber Leser

Wir Menschen sind wohl unverbesserliche Neinsager. Das beginnt, sobald wir die ersten Worte sprechen können:
Kommst du an meine Hand? Nein! – Gib deiner Schwester bitte etwas ab. Nein, das ist meins! – Hilfst du mir beim
Tischdecken? Nein, keine Lust!
Und wenn wir älter werden wird das nicht anders. Das Nein wird nur einfallsreicher und vielfältiger: Rücksichtnahme? Ich bin doch nicht blöd! – Freiwilliges Engagement? Ich bekomme auch nichts geschenkt! – Kinderfreundlichkeit? Das ständige Geschrei geht mir auf die Nerven! – Zufriedenheit? Den andern geht es viel besser! – Solidarität? Jeder ist sich selbst der Nächste! – Zuversicht? Nichts ist mehr sicher! – Glück? Habe ich nie! – Treue? Macht keinen Spaß! – Fürsorge für andere? Nein, danke!
Für uns Menschen liegt das Nein immer näher als das Ja, und diese Situation ist wirklich trost- und hoffnungslos.
Gott selbst hat dann die Wende eingeleitet. Er ist zu den Menschen gekommen, um den Weg zu zeigen, der vom Nein zum Ja führt, einem Ja zu sich selbst und zu anderen Menschen. Als Jesus im Stall von Bethlehem zur Welt kam, bedeutete dies aus der Sicht Gottes: Ihr Menschen seid zwar unverbesserliche Neinsager und Nörgler und Egoisten, trotzdem will ich einer von euch werden und euch zeigen, dass ich euch liebe.
Der erwachsene Jesus hat uns dann vorgelebt, wie ein Leben mit einem Ja im Herzen und auf den Lippen aussehen kann: Rücksichtnahme? Ja, der Schwächste ist der Maßstab! – Freiwilliges Engagement? Ja, bis zum Tode am Kreuz! – Kinderliebe? Ja, den Kindern gehört sogar das Himmelreich! – Zufriedenheit? Ja, was kann es mehr geben als die Liebe Gottes! – Solidarität? Ihr seid doch alle meine Schwestern und Brüder! – Zuversicht? Natürlich, denn wir werden leben auch wenn wir sterben! – Glück? Die Nähe Gottes ist höchstes Glück! – Treue? Ich kann gar nicht anders als euch lieben. – Fürsorge? All eure Sorge werft auf mich!
Weihnachten ist Gottes Ja zu uns Menschen. Wir sind zwar unverbesserliche Neinsager, aber wir müssen es nicht
bleiben. Gott selbst kommt in diese Welt, um uns das Ja zu lehren. Denn wir Christen glauben, dass Gott mit diesem
Kind den Tod überwunden hat. Er ist wahrhaftig auferstanden – von diesem Osterruf her schauen wir auf das Kind in der Krippe. Die Weihnachtsgeschichte endet zwar am Kreuz, aber die letzte Meldung lautet: Der Tod hat nicht das
letzte Wort! Er ist der Beginn einer Hoffnungsgeschichte der Menschen mit Gott. Wer Gottes Liebe einmal begriffen
hat, wird nicht weiter nörgeln und hadern, er wird an der Krippe neu anfangen Ja zu sagen zu sich selbst und zu seinen Mitmenschen.
Es grüßt Sie herzlich,
Ihr

Reinhard Sell

„Lesen, was gesund macht“

Jahreslosung 2014

Nein, liebe Leserin, lieber Leser, das ist nicht der neue Werbeslogan für den Gemeindebrief. Vielleicht sollte man aber mal darüber nachdenken – jetzt, da ichdiese Zeilen schreibe und für Wochen krank geschrieben bin nach einem komplizierten Bruch des Sprunggelenks. Beim Kauf der Schmerztabletten fiel mir dieser Satz in der dazugegebenen Apotheken-Umschau ins Auge.
Eine bemerkenswerte Zeitschrift, auch Seniorenbravo genannt, mit ihren Artikeln rund um die Gesundheit, mit Tipps für ein gesünderes und längeres und beschwerde- und sorgenfreies Leben; mit Fotos von Senioren, die tanzen oder bergwandern oder mit Sturzhelm auf dem Rennrad fahren; mit Ratschlägen von jungen Müttern, die ihre Familien gesundheitsbewusst ernähren, die alles wissen über Kalorien und Mineralstoffe, Vitamine und Kohlehydrate. - Lesen, was gesund macht.
Die Botschaft ist klar: Wer so lebt, wer sich gesund ernährt und sich viel bewegt, täglich zwei Liter Wasser trinkt und regelmäßig zur Vorsorge geht, auf sein Gewicht achtet und weder raucht noch trinkt, der kann hundert Jahre alt werden.
Aber auch der Glaube soll der Gesundheit dienen. Religiöse Menschen sind gesünder, hat man herausgefunden.
Denn der Glaube, von einer höheren Macht geführt zu werden, vermittelt Selbstvertrauen, emotionalen Rückhalt,
moralische Richtlinien und schützt vor Bluthochdruck, Herzerkrankungen und selbstzerstörerischem Lebensstil.
Na bitte! Da lohnt sich doch der Glaube. Das ist doch wirklich eine Perspektive! Glauben, um gesund zu bleiben also. So wie Treppensteigen statt Fahrstuhl oder Rad fahren statt Auto, um gesund zu bleiben selbstverständlich, denn das ist das Ziel.
Es wird wohl stimmen, dass der Glaube den Effekt hat, Menschen seelisch stabil zu machen. Und da Körper und Seele zusammengehören, wird die seelische Stabilität auch positive Auswirkungen haben auf die körperliche Gesundheit.
Aber gleichzeitig gilt doch: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen!“ Es ist uns nicht verheißen, gesund zu bleiben und ohne Schmerzen hundert Jahre alt zu werden. Unser Glaube hat sein Ziel nicht im sorgenfreien und schmerzfreien und unbehinderten Leben in dieser Welt, so sehr wir uns das wünschen. Das Ziel unseres Glaubens ist das, was in der Bibel mit „ewigem Leben“ gemeint ist. Nein, auch mit der Apotheken-Umschau haben wir unser Leben nicht in der Hand. „Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt“, sagt Jesus in der Bergpredigt (Matth. 6,27). Das ist unsere Realität. Was wäre denn sonst mit jenen, die nicht so alt werden? Haben die sich nicht genug angestrengt? Sind die selbst schuld?

Ich grüße Sie herzlich und wünsche Ihnen viel Gesundheit und wenig Sorgen,
Ihr

Reinhard Sell